Flucht aus der Heimat

Lesen Sie hier wie eine Familie aus Charkow, Ukraine, nach Basel geflüchtet ist und von einem unserer Mitarbeiter und seiner Familie für einige Wochen aufgenommen wurde.

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Einleitung und Hintergründe zur Ukraine

Am 24. Februar 2022 fing um 4.40 Uhr die Bombardierung von Charkow in der Ukraine an.

Ich kannte die Stadt nur vom Hörensagen; die Stadt war einer der Austragungsorte der Fussball-EM 2012 gewesen. Die Ukraine kenne ich nicht aus persönlicher Erfahrung.

Für mich persönlich war klar, dass auf Grund der vielen betroffenen Menschen, welche nun nach Westeuropa flohen, aktiv geholfen werden muss. Für Verwandtenbesuche haben wir zwei eingerichtete Gästezimmer, weshalb wir uns auf einer der einschlägigen Plattformen anmeldeten.

Dennoch erhielten wir überraschend am 11. März einen Anruf aus dem Bundesasylzentrum Basel, ob wir eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen könnten. Erst gerade hatte der Bundesrat zur Ukraine informiert und schon sollte der Krieg bei uns ankommen.

Die Familie kommt an

Die ersten Tage waren geprägt von Kennenlernen, die neue Heimat zeigen, Formalitäten erledigen. Zum Glück geht es der Gastfamilie relativ gut, was das Zusammenleben erleichtert. Mittlerweile gehen die zwei Teenager in eine Integrationsklasse in Muttenz und ihre Mutter fing ebenfalls mit Deutschkursen an. Am 8. April bezog die Familie nun eine von der Gemeinde Muttenz zur Verfügung gestellte Wohnung, womit ihnen nun nach 4 Wochen in einer temporären WG wieder eigene Räumlichkeiten zur Verfügung stehen.

Für unseren nächsten Baumann Fokus, welcher am 2. Mai 2022 veröffentlicht wird, hat Maryna Kovantseva einen zusammengefassten Bericht über ihre Flucht aus Charkow geschrieben. Dieser half ihr, die Flucht zu verarbeiten. Ich fand den Bericht sehr bewegend und erschütternd. 

Als Beispiel für unzählige ähnliche Fluchten aus der Ukraine (aber auch anderen Ländern) möchten wir ihren Beitrag «Flucht aus der Heimat» online in voller Länge zur Verfügung stellen.

André Stucki, 11. April 2022

Flucht aus der Heimat - Geschichte von Maryna und ihren Kindern

Ich danke dafür, dass Sie meinen Artikel lesen. Ich schreibe ihn mit schmerzendem Herzen für mein Land Ukraine.

Ich komme aus der Garnisonsstadt Chuguev, einem Vorort der zweitgrössten ukrainischen Stadt Charkow (erste Hauptstadt der Ukraine von 1919 bis 1934).

Meine Geschichte handelt davon, wie meine Familie im Zusammenhang mit der Situation, welche wir aktuell in unserem Land haben, nun in Muttenz (Schweiz) gelandet ist.

Dass in Lugansk und Donezk seit 2014 ein Krieg andauert, haben wir aus der Ferne miterlebt. Viele Bewohner dieser Regionen sind in andere ukrainische Städte gezogen. Es gab auch etliche, welche unser Land schon damals verlassen haben, weil sie wussten, dass es eine Fortsetzung geben würde.

Ende Oktober 2021 begannen Medien und soziale Netzwerke über einen Aufbau der russischen Militärpräsenz in Grenznähe zu informieren.

Unter der Bevölkerung brach erstmals Panik aus. Viele, welche in der Türkei, Polen, der Tschechischen Republik, Deutschland und anderen europäischen Ländern arbeiteten, begannen, Arbeitsvisa zu beantragen.

Verschiedene Organisationen haben aus freien Stücken eine militärische Ausbildung angeboten. Männer, Teenager, Frauen, Sportler kamen. Die Aufgaben umfassten verschiedene Aspekte; insbesondere handelte es sich auch um Bewohner, welche sich in der Gegend gut auskannten.

Die Stadt sammelte sich und erstellte eine Karte vorhandener Luftschutzbunker und ordnete an, diese Räumlichkeiten nun in Ordnung zu bringen. Alle Bürger mussten einen gepackten Rucksack mit Dokumenten, Wasser und Essen sowie Medikamenten bereithalten.

Kommen wir nun zum neuen Jahr 2022 und dem Startdatum des Krieges am 24. Februar 2022.

Meine Familie und Freunde waren voller Hoffnung, dass Wladimir Putin (im Wissen um die Sanktionen) es nicht wagen würde, in einen Krieg zu ziehen.

Meine Cousins leben in Russland (meine verstorbene Mutter stammte aus der russischen Region Kursk, welche in der Nähe zur Ukraine liegt). Es ist verrückt für mich, dass es möglich ist, meine Cousins zur Mobilisierung zu schicken, um gegen ihre ukrainischen Verwandten zu kämpfen. Die Welt wusste nun aber von Putins Plänen. Panik brach aus in meiner Stadt: alle kauften Lebensmittel, Devisen, Medikamente und ähnliches.

16. Februar 2022 (von den USA vorausgesagter Kriegsbeginn): Die Ukraine hat nicht geschlafen! Nach diesem Tag kannten wir aber keinen Frieden mehr, alle sagten, dass der Krieg beginnen würde. «Rashists» kamen an unsere Grenzen (wir nennen die Truppen «Rashists», eine Mischung von «Russians» und «Fascists»).

In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar konnte ich lange nicht schlafen, ich war in meiner Seele unruhig, ich döste einfach ein und wachte um 4:40 Uhr morgens von schrecklichen Geräuschen geweckt umgehend auf. Geräusche, welche wir vorher noch nie gehört hatten. Ich habe instinktiv verstanden, dass wir bombardiert werden - DER KRIEG BEGANN...

Ich weckte meinen Sohn und bereits klopfte es an meiner Tür. Als ich die Tür öffnete, sah ich meinen Patensohn Dima. Er sagte, ich solle mich warm anziehen, die Rucksäcke nehmen und innert 3 Minuten zum Luftschutzbunker gehen.
Wir rannten zum Luftschutzbunker, der sich in einem Nachbarhaus befand. Menschen aus den Nachbarhäusern versammelten sich dort mit all ihren Familien, alle umarmten sich und weinten. Es war stickig und voll, kleine Kinder baten nach Hause zu gehen, stellten Fragen (warum sind wir hier? ...).

Es war sehr beängstigend, ich rief alle meine Verwandten und Freunde an. Alle sagten, dass sie auch in einem Luftschutzbunker waren. In Kiew gab es eine ähnliche Situation, es begann jedoch einige Minuten später um 5 Uhr. Freunde aus Kiew versteckten sich ebenfalls zur gleichen Zeit.

In Charkow wurde es am 24. Februar 2022 um 11 Uhr ruhig. Die Stadt war lahmgelegt, der öffentliche Verkehr stellte seine Arbeit ein. Es wurden nur noch Mitarbeiter zur Arbeit gerufen, ohne die ein Fortbestehen der Stadt in dieser Situation nicht möglich ist (Ärzte, Stadtwerke, Verkäufer grosser Supermärkte, Apothekenangestellte usw.). Die Menschen gingen auf die Strasse und standen Schlange für Lebensmittel, Medikamente, Geld, Benzin .... streiten, weinen - Panik erfasst die Menschen.

Am 24. Februar um 16:00 Uhr wurde erneut Luftalarm ausgelöst. Online-Banken funktionierten nicht mehr, Bankgeschäfte konnten somit nicht mehr durchgeführt werden. Ich habe mein gesamtes Geld bereits früher abgehoben und vor dem 16. Februar 2022 in Dollar umgetauscht. Es gab sehr wenig Bargeld in Griwna.

Meine Tochter Liia war auf Grund eines Anlasses über Nacht auf der anderen Seite der Stadt gewesen, ihre Seele war nun vor Angst zerrissen. Der Taxidienst platzte vor Bestellungen, die Preise stiegen. Aber ich hatte Glück und arrangierte, dass meine Tochter gebracht wurde (für 500 UAH anstatt 87 UAH in normalen Zeiten). Endlich ist die Tochter angekommen, wir waren alle wieder zusammen! Nach diesem Tag hatte ich viele graue Haare auf dem Kopf.

Jeder Tag danach war wie ein Déjà-vu. Bomben, Schlange stehen, Bomben, Ausgangssperre. In Kleidern schlafen. Nach 2 Tagen begannen Probleme mit Kommunikation, Trinkwasser und Brot. Strom und Heizung fielen regelmässig aus.

Der Bürgermeister von Charkow, Igor Terekhov, appellierte an die Menschen, deren Häuser zerstört oder beschädigt waren, an Menschen, die keine Existenzgrundlage mehr hatten, zu den U-Bahn-Stationen zu kommen und dort zu leben. Die U-Bahn von Charkow ist der wichtigste Luftschutzbunker der Stadt. Immer mehr Menschen versammelten sich in den Metrostationen. Menschen schliefen auf dem Boden der Bahnsteige, Mütter und Kinder schliefen auf den Bänken der U-Bahnwagen.

Als sich die Metrostationen füllten, wurden die Menschen zu benachbarten Stationen transportiert. Die Welt steht nun auf dem Kopf, Geld spielt keine Rolle mehr. Die Leute tauschten Produkte aus, sie fingen an, sehr sparsam zu essen. Die Männer, welche in der U-Bahn waren, halfen bei der Lieferung humanitärer Hilfe an die U-Bahn und die öffentlichen Versorgungsunternehmen sowie bei der Reparatur der Kommunikation mit.

Als im Nachbarhaus der Luftschutzbunker sehr voll war, kehrten die Kinder und ich in unsere Wohnung zurück. Andere Nachbarn gingen zur Metrostation. Die nächste Metrostation ist 20 Minuten zu Fuss von meinem Haus entfernt. Ich habe mich nicht getraut, in die Metrostation zu gehen, denn nichts ist unberechenbarer als eine in Panik geratene Menschenmenge.

Soziale Netzwerke schrieben über die Opfer russischer Bombenangriffe. Wir waren nun vom Tod umgeben, wir begannen, ihn klar zu verstehen.

Der Krieg ist die Zeit der ernsthaftesten Neubewertung des Sinns des Lebens. Das völlige Unbekannte war erschreckend. Ich habe meine Angehörigen und Freunde mehrmals am Tag angerufen oder ihnen Nachrichten geschrieben. Wir schrieben uns statt des üblichen Satzes „Guten Morgen/Nachmittag/Abend" – „Wir sind in Sicherheit". Wir alle waren unseren Verteidigern dankbar dafür, dass sie keine «Rashists» in unsere Stadt liessen und dass wir noch am Leben waren.

Die Psyche konnte den nächtlichen Bombenangriffen nicht standhalten. Pfiffe waren zu hören, gefolgt von Explosionsgeräuschen. Durchs Fenster konnte man sehen, wie Nachbarhäuser brannten. Ich erinnere mich noch an dieses helle, herzzerreißende Feuer, es war ein wachsender Albtraum. Dieser Krieg ist schrecklich, weil man nie weiss, wann und woher eine Bombe kommt.

Es ist schade, dass nicht diejenigen sterben, die diesen Krieg begonnen haben, sondern unschuldige Menschen. Wenn man tagsüber Menschen traf, sah man nur noch Leid in ihren Gesichtern.

Unser Präsident Wolodymyr Zelensky wurde für uns zum Vorbild, das ganze Land verliebte sich nun sofort in ihn. Eine sichtbare Mobilisierung begann. Viele der Jungs waren zwar noch nie in der Armee gewesen, aber sie begannen, Waffen an alle auszugeben, die ihr Land verteidigen wollte; Reisepass vorzeigen reichte. Die Waffen gingen schneller aus, als die Warteschlange für sie endete. Daher wurde das Training beschleunigt, um die Waffen neu verwenden zu können.

In Korrespondenz mit Verwandten und Freunden träumten alle vom Kriegsende. Jeder erinnerte sich daran, wie gut wir gelebt haben! Trotz aller Unmenschlichkeit des Krieges war es eine Art Prüfung für die Menschen. Alle wollten zu einem friedlichen Leben zurückkehren. Die Leute verließen nun aber Charkow in Strömen in ihren Autos.

Einige meiner Verwandten fuhren nach Walki bei Charkow, andere nach Krementschug. Mein Ex-Mann blieb in Charkow und half bei der Wiederherstellung der Kommunikation.

Der 1. März 2022 ist der erste Frühlingstag in meinem Land. Er war durch das Erscheinen eines Fahrplans für Züge vom Hauptbahnhof in Richtung Westen für die Evakuierung von Müttern und Kindern aus der Stadt gekennzeichnet. Der Bahnhof ist rund 19 km von unserem Haus entfernt. Wir wagten es jedoch nicht, etwa 5 Stunden lang im Bombenhagel zu laufen. Wir brauchten also ein Auto, um zum Bahnhof zu gelangen.

Der Preis für 1 Person im Auto beträgt bereits etwa 1000 UAH. Aber in Telegramm- Selbsthilfegruppen boten Freiwillige unentgeltliche Fahrten zum Bahnhof an. Wir haben es jedoch 3 Tage lang nicht geschafft, in ein Auto zu steigen.

Das Foto zeigt das Haus mit Luftschutzbunker, wohin wir jeweils flüchten mussten.

Am 4. März 2022 war der nächste Aufruf von Fahrern zur Terminvereinbarung für eine Fahrt zum Bahnhof nach drei erfolglosen Tagen endlich ein voller Erfolg. Der Fahrer sagte, dass er in 10 Minuten in der Nähe unseres Hauses sein würde. Seine Antwort war ein weiterer Hoffnungsschimmer. Ich zog mich um, zog Schuhe an, nahm die Rucksäcke. Das einzige, woran ich mich erinnerte, waren die Geburtsurkunden der Kinder, da sie natürlich den Nachnamen des Vaters tragen. Es war keine Zeit mehr nach allen Dokumenten zu suchen, wir schnappten uns daher gleich die ganzen Ordner.

Wir verließen das Haus, der Fahrer wartete bereits im Auto. Es war zum Glück gerade ruhig, da zufällig Gefechtspause war. Wir stiegen ins Auto, wo bereits eine Mutter mit Tochter sassen. Auf geht's!

Auf halber Strecke fingen die Russen wieder mit dem Bombardement an. Die Brücke, auf welcher der Fahrer zu uns gefahren war, war nun bereits beschädigt, wir mussten sie daher umfahren. Die Anfahrt direkt bis zum Bahnhof war ebenfalls nicht möglich, da die Autos stehengelassen wurden von bereits im Bahnhof wartenden Einwohnern. Die führte zu einer Verschlimmerung der Stausituation.

Bahnhof 10 Uhr: Die Schlange reicht bis auf die Straße und zog sich durch den gesamten Bahnhof; die Leute waren wahnsinnig vor Angst, der Selbsterhaltungstrieb blockierte alles Menschliche. An diesem Tag wurden ausschliesslich Mütter mit Kindern evakuiert. Dennoch kamen Rentner, Jugendliche und weitere Bewohner zum Bahnhof, obwohl sie gar nicht abreisen durften.

Als wir das Bahnhofsgebäude endlich betreten konnten, begann gleichzeitig ein Ansturm. Das Militär, welches den Prozess kontrollierte, konnte ihn nicht verhindern. Menschen verloren das Bewusstsein, kleine Kinder weinten; wir alle standen etwa 10 Stunden lang Schlange.

Mein Sohn Rodion wurde zweimal als Folge einer Massenpanik von uns weggerissen. Ich schrie mit gebrochener Stimme, damit die Leute unsere Familie nicht auseinanderreißen und meinen Sohn durchlassen würden. Das Militär bat darum, einen Korridor für Mütter und Kinder zu schaffen, angesichts der Menschenmassen war dies aber erfolglos.

Als der Zug einfuhr, mussten die Soldaten in die Luft schießen. Menschen zerquetschten sich gegenseitig. In meiner Erinnerung waren diese 10 Stunden am Bahnhof die schlimmste Zeit seit Kriegsbeginn.

Zu dieser Zeit stiegen meine Freundinnen She und Irpen in Kiew in einen Evakuierungszug. In einer Nachricht schrieben sie, Kiew werde gnadenlos bombardiert.

Bahnhof 20 Uhr: Endlich sind wir auf dem Bahnsteig angekommen, nachdem das Militär eine Triage vornehmen konnte. Mütter mit mindestens einem Kind unter 5 Jahren reisten mit dem Hochgeschwindigkeitszug. Die übrigen mit dem Normalzug.

Wir rannten zum Zug, er bestand aus 24 Waggons. In den Waggons war es dunkel. Telefonieren war auf dem ganzen Weg strikte verboten, da das Licht der Smartphones den Zug verraten und Beschuss auslösen könnte. Es fehlte an Sitzplätzen, daher wurden Decken am Boden ausgebreitet.

Der Bahnsteig war voll mit zurückgelassenen Koffern und Haustieren, da die Mitnahme aus Platzgründen strikte untersagt wurde. Die Besitzer hatten aber vergeblich darauf gehofft, dass ein Auge zugedrückt würde. Einzig Rucksäcke waren erlaubt (die Mitnahme von Dokumenten, Essen und Trinken, warmer Kleidung und Decken wurde empfohlen).

Im Zug war es kalt. Wir fuhren langsam und hielten viele Male an. Explosionen waren in der Ferne zu hören als wir Charkow verließen. In der 150 KM entfernten Stadt Poltawa wurde unser Zug gedrittelt und wir fuhren nun schneller. Ziel war nun die rund 800 KM entfernte Stadt Ternopil in der Westukraine.

Am Morgen des 5. März 2022 begannen sich die Passagiere im Waggon kennenzulernen. Wir sprachen über all die Schrecken dieses Krieges. Eine Frau stand unter Schock und wiederholte ständig „so viel Blut, so viel Blut". Der Zug hielt nur an, um zubereitete Auberginen und Wasser aufzuladen. Es war strengstens verboten, die Waggons zu verlassen!

Als wir auf unserer Reise über Brücken fuhren oder Autobahnen überquerten sahen wir unsere Soldaten, welche unseren Weg bewachten. Um 22:00 Uhr kamen wir in Ternopil an. Freiwillige organisierten ein Abendessen.

Nach dem Einchecken wurden wir mit dem Bus zu einem Kindergarten gebracht. Dort verbrachten wir schweigend die Nacht auf Kindermatratzen auf dem Boden (damals hatte Ternopil noch nichts von den russischen Bombenangriffen mitbekommen).

Am Morgen des 6. März 2022 wurden wir mit Frühstück verpflegt und mit dem Bus zurück zum Bahnhof gebracht, um nach Lemberg weiterzureisen.

Auf dem Weg nach Lemberg erhielt ich die Nachricht, dass mein guter Freund Max Yatsenko von der 101. Panzerbrigade mobilisiert worden war und sich zu dieser Zeit bereits auf dem Weg nach Schytomyr befand. Der Gedanke, dass er vielleicht nicht vom Schlachtfeld zurückkehren würde, schoss mir durch den Kopf und ließ mich verzweifeln, meine Haut war mit Gänsehaut überzogen. Ich verbot mir sofort, diesen Gedanken zu entwickeln.

Mein Ex-Mann (Vater meiner Kinder) vereinbarte mit Motorradfreunden, dass sie uns nach Polen mitnehmen würden. Der Motorradfahrerverband half beim Transport von humanitärer Hilfe und Medikamenten über die polnisch-ukrainische Grenze.

Einer der Biker, Slava, war vom berüchtigten "Regiment Asow". In Lemberg haben wir 2 Tage in seiner Wohnung verbracht, wo bereits auch zwei weitere Familien aus Charkow lebten.

7. März 2022: Slava organisierte unseren Grenzübertritt nach Polen. In Polen wartete bereits ein Biker namens Markus mit dem Auto auf uns. Nach der Zollpassage stiegen wir in sein Auto. Er hatte bereits Brötchen und Säfte für uns gekauft.

Freunde und Bekannte, welche vor uns nach Polen kamen, schrieben uns, dass Polen bereits überfüllt sei. Philip, der Halbbruder meiner Kinder sagte, dass er in Köln und Zürich Bekannte hat, wo wir bleiben könnten.

Markus fragte, wo wir hinfahren würden, worauf wir antworteten, dass wir nach Köln fahren würden. Das Ziel stand fest, dort wartete bereits Angela auf uns. Markus bot uns an, in seiner Wohnung in Kattowitz zu übernachten. Am Morgen würde er unsere Weiterreise nach Deutschland organisieren.

Nach einem Abendessen auf der Fahrt kamen wir um 22:15 Uhr in Kattowitz an. In der Wohnung lag Frühstück für den nächsten Tag im Kühlschrank. Markus ging und sagte, er würde uns um 10:00 Uhr abholen.

8. März 2022, Internationaler Frauentag: Markus kam um 10:00 Uhr an, wir waren bereit. Er nahm uns mit zu seinem Bikerfreund Petrik. Er fuhr zufälligerweise gerade nach Belgien und nahm uns bis Köln mit.

Auf der langen Fahrt nach Köln haben wir zweimal Rast gehalten. Wir waren nun weit weg von unseren Verwandten und Freunden und auch weit weg vom Krieg. Aber die ständige Sorge um diejenigen, welche noch in der Ukraine sind, lässt uns nicht los.

Um 21:35 kamen wir am Treffpunkt in Köln an. Angela traf uns und brachte uns zu sich nach Hause. Dort trafen wir auch die Hündin Leyla ihres Sohnes, sie ist sehr schlau.

Angela begann, sich über das Aufnahmeverfahren von Ukraineflüchtlingen in Köln zu informieren. Die Behörden antworteten drei Tage nacheinander, dass das Verfahren noch nicht beschlossen sei. Daher beschlossen wir in die Schweiz zu gehen, weil wir lasen, dass das Verfahren in der Schweiz bereits bekannt ist.

Am 11. März 2022 sind wir bereits um 4:30 Uhr mit dem Zug von Köln via Frankfurt am Main nach Basel gefahren.

Am Bahnhof Basel SBB bekamen wir eine Karte mit der Route zum Bundesasylzentrum, wo wir gegen 10 Uhr ankamen. Wir füllten Formulare aus und gaben unsere Pässe ab. Eine Frau und ein Mann kamen ins Wartezimmer, sie boten uns ihre Hilfe an. Die Frau stellte sich als Cornelia vor. Sie sah sehr müde aus, ihr Haar war achtlos zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ihre Wimperntusche war unter ihren Augen verschmiert. Es war offensichtlich, dass sie schon lange Stunden Menschen im Flüchtlingszentrum half. Ich sagte ihr, dass ich ihren Namen mit dem Namen einer Blume verbinde. Die Hilfe bestand darin, dass sie uns helfen würden, eine Unterkunft ausserhalb des Bundesayslzentrums zu finden.

Nach einiger Zeit kam Cornelia, um zu sagen, dass sie ein Gastgeberehepaar für uns gefunden hatte und dass sie uns in ihrer Wohnung aufnehmen würden. Sobald wir unsere Fingerabdrücke abgegeben und ein Foto gemacht hätten, würden sie uns abholen.

Gegen 20:30 Uhr kam André zu uns und erledigte die Formalitäten. Dann stiegen wir ins Auto und fuhren zur Wohnung. Zu Hause wurden wir von seiner Frau Ana Paula empfangen. So kamen wir in diese fürsorgliche Familie.

28. März 2022: Der erste Schultag meiner Kinder in Muttenz und meine erste Deutschstunde. Noch warten wir auf die Status-S-Papiere, damit ich mich auf Arbeitssuche machen kann.

Ich bin dankbar dafür, was die ukrainische Armee geleistet hat. Aber auch den europäischen Ländern, den USA, Japan, Kanada und Australien bin ich dankbar, was sie bisher für die Ukraine getan haben. So sehen wir heute, dass sich die Einstellung zu diesem zerstörerischen Krieg sowohl bei Gegnern als auch Unterstützern bereits dramatisch verändert hat.

Ich möchte der Regierung des Finanzplatzes Schweiz meinen tiefen Dank dafür aussprechen, dass sie sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Meine Dankbarkeit aus tiefstem Herzen gilt insbesondere für den speziellen Flüchtlingsstatus mit all seinen Bedingungen für die Bürger der verwundeten Ukraine.

Danke ebenfalls an jeden fürsorglichen Menschen, welcher aufgrund seiner Fähigkeiten geflüchteten Müttern und Kindern hilft und sich um sie kümmert.

Unser aller Wunsch ist jetzt das Ende dieses Krieges!!!

Muttenz, 28. März 2022

Maryna Kovantseva

Die Autorin nach geglückter Flucht in Basel zusammen mit Tochter Liia (16) und Sohn Rodion (14)

11.04.2022
André Stucki
Leiter Kompetenzzentrum Verarbeitung



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